Reist man vom Engadin ins Bergell, kommt man in Casaccia erstmals im Tal an, das an dieser Stelle allerdings auf 1458m liegt und definitiv noch alpines Klima hat. Umsäumt von Lärchen und Arven steht das Dorf am Fuss zweier Pässe: der eine, nach Maloja, immer noch wichtig und zu einer guten Strasse ausgebaut; der andere, der Septimerpass nach Bivio, ist heute «nur noch» ein schöner Wanderweg. Dieser Mobilitätswandel hat auch mit dem touristischen Aufschwung des Engadins am Ende des 19. Jahrhunderts zu tun: Es ist deutlich das wirtschaftliche Zentrum der Region und will von Norden, aber auch von Südwesten erreichbar sein. Umgekehrt haben die Entscheide für die grossen Alpenquerungen für Auto und Bahn (glücklicherweise!) andere Gegenden getroffen.

Casaccia unter den mächtigen Piz dal Sasc (links) und Piz Lunghin
Casaccia unter den mächtigen Piz dal Sasc (links) und Piz Lunghin

So liegt Casaccia etwas einsam im Tal, ist immer noch Durchgangsort (und einer der wenigen im Bergell, die nicht mit einer Umgehungsstrasse versorgt wurden), aber wenigstens kein doppelter. Umgekehrt hat sich das Dorf deshalb als Ausgangspunkt für grossartige Wanderungen etabliert: über das Tal der Maira, das Val Maroz, kann man einerseits Richtung Septimer und Bivio weiterlaufen; andererseits auch dem Fluss noch weiter folgen bis zur Alp Maroz Dent und von dort aus entweder ins Val da Cam oder ins Val da la Duana (und noch viel weiter bis ins Averstal). Wer hier wandern will, sollte sich allerdings gut selbst verpflegen: In Casaccia hat es keinen Laden oder Kiosk und auch auf den Strecken gibt es nirgendwo eine Einkehrmöglichkeit.

Hauptstrasse in Casaccia, links das Hotel Stampa, oben der Malojapass
Hauptstrasse in Casaccia, links das Hotel Stampa, oben der Malojapass

Leichter hat es mit der Versorgung, wer sich für die Wanderung nach Süden auf der Via Bregaglia entscheidet, hier bietet insbesondere Vicosoprano hervorragende Einkaufs- und Einkehrmöglichkeiten. Aber auch der Weg nach Nordosten hinauf nach Maloja führt gleich ins nächste touristische Zentrum am Anfang des Engadins. Und gleich noch ein Tipp: Egal welche Richtung man einschlägt, eine wärmende Jacke sollte man immer dabei haben – ständig weht in Casaccia ein kühler Wind, auch dafür sorgt die ausgesetzte Lage an beiden Pässen. Im Winter ist die Ebene unterhalb des Dorfes oft mit Schneeverwehungen bedeckt, wie als Vorzeichen auf die kalten Regionen, die oben am Pass folgen. Casaccia ist eher rauh, und wer hier verweilen will, braucht ein dickes Fell.

Wegweiser zu den alten und neuen Wanderwegen
Wegweiser zu den alten und neuen Wanderwegen

Von der lokalen Kulturgeschichte und der Bedeutung der Pässe erzählen zwei Ruinen: die eine stammt von einer Kirche und verweist auf eine eher bittere Geschichte. Oberhalb von Casaccia lag bereits im 9. Jahrhundert eine Kapelle und markierte die Grabstätte des heiligen Gaudentius – ob dieser derselbe ist, der auch in Novara verehrt wird, ist nicht klar, die Quellen sind sich nicht einig. Er bekehrte die Bevölkerung im Bergell zum Christentum, wurde von den Römern aber verfolgt und getötet. Ohne Kopf lief er noch einige Meter, bis an den Ort, wo noch heute die Kirchenruine steht. Diese wurde als Neubau 1518 im Stil der Spätgotik errichtet – wieder aber traf den Ort ein Religionskrieg: Gleich 1551 wurde der Bau von den Reformierten gestürmt und teilweise zerstört.

Eine zweite Ruine ist die von Turracia, der Rest einer mittelalterlichen Befestigungsanlage. Wem sie gehörte und warum sie verlassen und dem Zerfall überlassen wurde, weiss man nicht genau. Heute jedoch wird sie recht dekorativ von einem Bäumchen gekrönt.

Ruine von Turracia
Ruine von Turracia