Überraschend ist im Bergell der kulturelle Reichtum. Und damit ist nicht nur die «grosse» Kunst der Giacomettis oder eines Segantini gemeint, sondern just auch die kleinen architektonischen und baulichen Feinheiten, die kulinarischen Spezialitäten oder die Pflege der Haine und Gärten. Kultur hat insbesondere im Alpenraum viele Gesichter, wo sie in Handwerk, im nachhaltigen Wirtschaften und im Brauchtum jenseits von touristischer Folkore & Heidi-Idylle gelebt wird.

Garten der Casa Antonio in Soglio
Garten der Casa Antonio in Soglio

Die Herausforderungen sind hoch: Wirklich bewundernswert ist deshalb der schmale Grat zwischen Tradition und Fortschritt, zwischen Alt und Neu, der im Bergell gelingt. Wo nötig, wird repariert, neu gepflastert, an- und ausgebaut, durchaus auch ganz modern – dafür stehen die Architekten des Tals. Vieles aber bleibt, wie es schon seit mehreren Jahrhunderten ist, bis hin zur unnachahmlichen Patina der Gebäude. Ob dahinter stets ein ästhetischer Sinn oder vielleicht auch nur ein Geldmangel steckt – egal, entscheidend ist das Resultat.

Im Garten der Villa Garbald stehen Nutz- und Zierpflanzen
Im Garten der Villa Garbald stehen Nutz- und Zierpflanzen

Spannend auch die Mischung aus Bergkultur und Italianità: Engadinerhäuser mit dicken Mauern stehen neben (fast) städtischen Patrizierdomizilen, Ställe aus Stein und Holz neben stattlichen barocken Palazzi. Gerne sitzt man hier auf den verschiedenen Piazze in den Cafés, Restaurants & Grotti, die unter anderem die berühmten Kastanienspezialitäten der Region anbieten: Kuchen, Guetsli & Teigwaren, Honig, Konfi und Sirup, Glacé, Likör und sogar Kastanienbier. Einst als Grundnahrungsmittel für die Armen abgetan, findet die Edelkastanie heute wieder grosses Interesse in der Feinschmeckerküche, auch weil die Arten ihrer Verarbeitung so verschieden sind.

Barocker Garten in Borgonovo mit Buchsbaumhecken
Barocker Garten in Borgonovo mit Buchsbaumhecken
Kleiner Barockgarten in Castasegna, vorne die Pergola der Villa Garbald
Kleiner Barockgarten in Castasegna, vorne die Pergola der Villa Garbald

Neben dieser Alltagskultur ist aber auch die Pflege der kulturellen Einrichtungen enorm: Es gibt in der Gemeinde gleich drei Bibliotheken (in Maloja, Vicosoprano & Castasegna), zwei Museen (die Ciäsa Granda und den Palazzo Castelmur), zwei historische Ateliers (Giacometti & Segantini) und zahlreiche zeitgenössische Galerien. Dazu werden verschiedene Orte kulturell bespielt, so im Sommer 2018 das ganze Dorf Castasegna.

Der Übergang zwischen Alltagskultur und Hochkultur ist entsprechend fliessend: Hat die Landschaft die Malerei der Giacomettis und eines Segantini geprägt? Oder entsteht sie aus dem gleichen ästhetischen Sinn, der hier ohnehin dominiert? Gibt sie vielleicht auch etwas an die Orte zurück, lässt sie uns neue Perspektiven, Farben und Formen entdecken?

Bondo im Bergell: Grotti Richtung Promontogno
Bondo im Bergell: Grotti Richtung Promontogno

Wie alle meine Seiten hier sind auch die für die Kultur ein steter work in progress. Vorläufig werde ich über Aktuelles (hier werden aktuelle Austellungen und sonstige Anlässe besprochen) und Institutionen berichten (hier werden dauerhafte Einrichtungen vorgestellt).