Ein Grund für mich, diesen Blog zu schreiben, ist die miserable Präsenz des Berggebiets in den Medien. Denn die werden hauptsächlich in den grossen Städten produziert, wo sie viele Abonnentinnen & Käufer, Zuschauerinnen und Zuhörer finden. Zürich beispielsweise, wo ich bislang gewohnt habe, ist ein Medienparadies. Hier sitzen mit Ringier, Tamedia & der NZZ gleich drei riesige Player. Hier gibt es viele kleinere Zeitungen und innovative Medienprojekte. Hier ist der Sitz des deutschsprachigen Schweizer Fernsehens, aber auch vieler kleinerer TV- und Radiosender. Das ist eine mediale & politische Vielfalt, unter der ich jeden Tag mit Freude gewählt habe.
Prinzipiell ist diese lokale Konzentration in städtischen Räumen in Ordnung – auch mir leuchtet ein, dass Medienproduktion viele kreative Köpfe braucht und noch mehr Abnehmer*innen, die bereit sind, dafür zu zahlen. Dass Anzeigen und Werbung dort fliessen, wo viele Kaufkräftige sich tummeln. Dass mediale Projekte in Räumen entstehen, wo sie von anderen Trägern durch Gedanken- und Meinungsaustausch profitieren. Schwierig finde ich dagegen die mangelnde mediale Vielfalt im Berggebiet.
Mangelnde Vielfalt und mangelndes Interesse
Für das Bergell selbst gibt es keine Zeitung. Am weitesten verbreitet ist die Engadiner Post, die zweisprachig erscheint und sich nahezu ausschliesslich lokalen Themen widmet. Häufig sieht man auch die Südostschweiz, die in Chur produziert wird und das ganze Bündnerland abdeckt. Im Netz allerdings gibt es ein informatives Portal, La Bregaglia, das in italienischer Sprache direkt über das Bergell informiert. Das heisst, man kann sich durchaus über Regionales informieren. Und man wird es auch tun – wenn man hier lebt.
Noch schwieriger: Während viele Menschen hier durchaus überregionale Zeitungen lesen, liest niemand (oder fast niemand) in Zürich oder im restlichen Unterland diese regionalen Blätter. Themen, die das Berggebiet beschäftigen, kommen in den meistgelesenen Schweizer Publikationen selten bis überhaupt nicht vor. Und wenn, dann wird häufig ein extrem klischiertes Bild einer heilen Alpen- und Tourismuswelt präsentiert. Andere Themen sind oft lausig recherchiert und zeugen nur vom mangelnden Sachverstand ihrer Autorinnen und Autoren. Und das, obwohl die Schweiz zu 60% aus alpinen oder voralpinen Regionen besteht.
Präsenz in den Medien bedeutet immer auch Repräsentanz, das heisst ein Platz in den politischen Debatten, aber auch in allgemeinen gesellschaftlichen Diskussionen. Wer nicht dabei ist, kann nicht mitreden und wird nicht berücksichtigt. Diese Mitsprache fehlt dem Berggebiet.
Mediale Bilder nach der Katastrophe
Nehmen wir beispielsweise das mediale Grossereignis im Bergell dieser Saison, den Bergsturz von Bondo. Es war klar, dass zunächst Berichte erscheinen würden, die auf den Moment der Katastrophe fokussierten. Zahlreiche Redaktionsteams reisten an, schossen Bilder, interviewten betroffene Menschen und schrieben über die Sensation. Später wurde es stiller. Aber einige Redaktionen waren durchaus bereit, dran zu bleiben und sich zu erkundigen, wie die Region ihre massiven Probleme bewältigt. Artikel erschienen meist pünktlich zu den Terminen, die ein von der Gemeinde Bergell engagierter Pressesprecher anberaumte; sie spiegelten in erster Linie seine Pressemitteilungen.
Andere Publikationen waren – teils – eine happige Zumutung. Unter dem Mäntelchen einer Reportage publizierte etwa die NZZ den Artikel «Die Narren von Bondo», der sich hauptsächlich überheblich über Journalistenkollegen äussert (der Blick lässt eine Drohne schwirren, das namenlose Radio berichtet zu kritisch, das Blaulicht will zu dicht ran). Oder gleich über den Pressesprecher berichtet (der ist ja, notgedrungen & praktischerweise, zur Hand). Die Einheimischen treten auf wie in einem Kammerspiel (XY, 56 Jahre alt, der Wirt; ZY, 59 Jahre alt, seine Schwester). Das simuliert eine Nähe, die höchstens fürs Stammtisch-Niveau reicht. Welche Probleme Gemeinde und Dörfer tatsächlich haben? Wie man davon ein Bild ins Unterland vermitteln kann? Schnurz. Lieber narzistische Selbstbespiegelung zwischen den Zeilen.
Auftritt SRF, RSI & RTR
Mit der Berichterstattung des Schweizer Fernsehens war ich auch nicht immer zufrieden. Zuviele Redaktionen haben während der Katastrophe gleichzeitig Teams geschickt. Die meisten davon waren auch nicht top-informiert. Gut & umfangreich aber war die Berichterstattung von RSI, das ist der Sender, den hier die meisten Einheimischen sehen. Mir hat hingegen die deutschsprachige «Reporter»-Sendung vom 10.9.2017 recht gut gefallen – sie hat beispielsweise auf Archiv-Material zurückgegriffen und den Massnahmen rund um den Bergsturz eine Geschichte gegeben.
Mein Herz endgültig gewonnen hat dann «Cuntrasts» vom November 2017. Hier kommen endlich einen Vielzahl von Einheimischen zu Wort, man spricht mit ihnen auf Augenhöhe: Lehrer, Anwohnerinnen, Hüttenwarte, Kinder, ein Landwirt. Auch der Pressesprecher, die Gemeindepräsidentin und der Wirt sind wieder dabei, aber es ist erstaunlich, wie anders sie nun reden. Sie können ihrer Perspektive Raum geben und von ihren Problemen berichten. Auch die Bilder sind andere: Es wird der Murgang gezeigt, aber auch das Ausmass der Aufräumarbeiten. Betroffene Häuser, aber auch viele, die nach wie vor intakt stehen. Damit auch diejenigen die Sendung verstehen, die kein Rumantsch (bzw. Bargajott) können, ist sie in deutsch untertitelt. Die Sendung kann man gleich hier auf der Website anklicken:
Idée suisse, Öffentlichkeit & Bergregion
Dass diese Sendungen so möglich sind, liegt an der Struktur und an der Finanzierung von Radio & Fernsehen in der Schweiz. Deren verfassungsmässiger Auftrag lautet, zur «Bildung und kulturellen Entfaltung, freien Meinungsbildung und Unterhaltung» beizutragen. Sie sollen Vielfalt fördern und regionale «Besonderheiten» berücksichtigen. Sie haben gut bezahlte Journalisten mit Zeit zum Recherchieren. Sie verfügen über Archive, die Geschichte abbilden, und Archivarinnen, die diese kennen und betreuen. Sie haben gutes technisches Personal, das Themen professionell aufarbeiten kann.
In der Schweiz werden die vier Sprachregionen von vier verschiedenen Einheiten betreut; sie alle tragen zu etwas bei, was einmal «idée suisse» hiess. In Deutschland nennt man Fernsehen und Funk «öffentlich-rechtlich». Das drückt etwas weniger national die Vorstellung von einem Bereich des gesellschaftlichen Lebens aus, in dem Menschen teilhaben, Probleme diskutieren und verhandeln können. Öffentlich ist das Gegenteil von privat. Öffentlich ist das, was uns alle betrifft. Zu dem wir alle Zugang haben sollten und von dem wir eine angemessene Repräsentanz einklagen können.
Das Bergell gehört zur italienisch-sprachigen Schweiz. Eine Studie des Tagesanzeigers hat vorgerechnet, dass die Menschen hier 2300 Franken pro Jahr aufwenden müssten, um sich ohne den Finanzausgleich weiter einen TV-Sender zu leisten. Sie sind entsprechend auf die Solidarität der Restschweiz angewiesen, wollen sie überhaupt noch präsent sein. Absurderweise wird dem Schweizer Fernsehen momentan auch noch eine zu starke Fokussierung auf das Ländliche vorgeworfen: «Schwinger, Jasser, Berge, Bauern und Volksmusikanten». Das ist keine Fokussierung aufs Berggebiet, das ist höchstens Folklore, die das Bild der Städter von den alpinen Regionen prägt.
Ich bin durchaus auch der Meinung, dass nicht alles im Schweizer Fernsehen und Radio perfekt ist. Sicher wäre eine konstruktive Debatte über Inhalte und Formate dringend nötig. Aber wenn wir die Gebühren und ihre verfassungsmässige Grundlage ersatzlos streichen, verzichten wir auf diese Debatte und auch auf die tollen Sendungen, die es gibt. Auf Kultur- und Sportevents, die live übertragen werden und beispielsweise für touristische Regionen werben. Und gleichzeitig auf die wichtigen Schweizer Spiel- und Dokumentarfilme in und über (Berg-)Regionen, die ohne den Beitrag der SRG nie entstanden wären.
Es sind meiner Ansicht die Bergregionen der Schweiz, denen der grösste Verlust droht, wenn diese absurde und alternativlose Initiative angenommen wird. Deshalb: Nein zu No-Billag!
Von Cuntrasts gibt es in der RTR-Mediathek noch viele weitere schöne Sendungen. Meine Lieblingsepisode dreht sich um Bänke vor den Häusern.
Grundsätzlich nicht, nein. Nur in der ganzen NoBillag-Diskussion spricht niemand vom Radio. Und ja – das stört mich.
„Berggebiete“/“Umwelt“: Da lieferte das Regi Graubünden zum Beispiel:
https://www.srf.ch/news/regional/graubuenden/bergsturz-bondo-das-erodierte-eis-hat-den-ausschlag-gegeben-2
oder Recherchen zum Nationalpark/Umwelt
https://www.srf.ch/news/regional/graubuenden/spoel-ist-massiver-vergiftet-als-bisher-angenommen
oder Bergregionen, Grossanlässe und Demokratie
https://www.srf.ch/news/regional/graubuenden/olympia-2026-auf-dem-demokratie-pruefstand
… und am 29. 12.2017 bei uns im Studio: http://www.srf.ch/graubuenden : Anna Giacometti
Viel Spass und Nachdenklichkeit beim Hören!
Und wie wörs mit Radio hören ? Das existiert für sie im
Bergell wohl nicht. Zum Beispiel das http://www.srf.ch/graubuenden. und da Bondo – Berggebiet – Wirtschafts- etc Reportagen und Recherchen, Gespräche und Hintergründe hören, podcasten, lesen…
Das stimmt, über Radio habe ich nicht geschrieben. Ihr Beispiel widerspricht meinen Argumenten aber nicht, oder? herzlich, Veronika